31.12.2008

Meine letzte Aufregung

So, jetzt noch schnell einmal echauffieren, damit meine Launenhaftigkeit, meine Reizbarkeit, mein Zynismus und meine Misanthropie nicht gleich am ersten Tag des neuen Jahres wieder zum Vorschein kommen müssen.

Ich bin ja generell gegen diese neuen oberflächlichen Freundschaften. Befördert durch soziale Netzwerkseiten im Internet, glaubt nun jeder, dass man nach fünf Minuten lässigen Small Talks oder dem gemeinsamen Anstehen in der Bierschlange die Grundlage für eine Freundschaft gelegt hat, die natürlich auf StudiVz/Facebook/Lokalisten/blablabla besiegelt werden muss.

Aufreger Nummer eins: dieser inflationäre Gebrauch des Wortes Freund lässt wahre Freundschaften in einem wortlosen Raum zurück. Warum noch Mühe in eine Beziehung investieren, wenn das wahre (Freundschafts)Glück doch nur einen Mausklick entfernt ist???
Ich mach da nicht mit. Ich will nicht protzige 348 Freunde an meiner Uni und weitere 613 in der ganzen Welt haben.

Aufreger Nummer zwei: und plötzlich muss man sich nicht mehr persönlich um seine Freunde kümmern. Einfach mal eine Botschaft in der Statusmeldung posten und schon ist allen sozialen Verpflichtungen entsprochen.
Auch dem verweigere ich mich! Wenn man mir etwas zu sagen hat oder wünschen will kann man, nein muss man, sich die Mühe machen, und meinen Namen in die Adresszeile einer e-mail einfügen, mir eine SMS schicken oder mich gar anrufen. Da ist es auch zu verschmerzen, wenn ich nur Teil einer Rundmail oder -SMS bin. Immerhin musste der Absender aktiv werden und sich für die Empfänger seiner Botschaft entscheiden.

Aber wenn ihr glaubt, ich mach mir den Stress all eure Seiten abzuklappern um mir unpersönliche und unmotivierte Glückwünsche fürs neue Jahr abzuholen, dann glaubt ihr auch, dass wir wirklich Freunde sind.

29.12.2008

Meine Offenbarungen

Nur noch einige Stunden und auch 2008 kann abgeheftet und archiviert werden. Höchste Zeit also für einen persönlichen Blick zurück. Das könnte auf keinem besseren Weg als dem der Musik geschehen.

Natürlich waren es viel zu viele großartige Bands, die ich dieses Jahr neu kennenlernen durfte, zu viele Alben, die mich begeisterten und unzählige Mp3's, die mich entzückt im Stuhl auf und ab hüpfen ließen.
Ich möchte mich darum nur auf meine drei Alben des Jahres beschränken.

Erst sehr spät, genauer gesagt vor drei Wochen, entdeckt: ich lag schon im Bett und hörte nur noch mit einem Ohr dem Nachtclub zu, als die betörend schönen Stimmen der Unthank-Schwestern erklangen. Zwei Tage später hatte ich diese Offenbarung im CD-Player und dort blieb sie auch für die nächste Zeit. Immer wieder ließ ich mich von den magisch-faszinierenden Klängen in eine Welt entführen, die irgendwo zwischen Braveheart und Lang lebe Ned Devine! zu finden ist, deren Atmosphäre, meist düster und traurig, immer wieder harmonisch gebrochen wird. Die 15 Tracks auf dem Album sind überwiegend Neubearbeitung englischer Folk-Balladen und Traditionals, die vom Leben, der Liebe und dem Tod erzählen. Selbstbewusst singen sie in einem englischen Akzent, der so wunderbare Zeilen wie "The kye’s come yem, but I see not me hinny“ hervorbringt. Und wie ein Rezensent von Crazewire schrieb: "Was auch immer das bedeuten mag, man möchte es auf der Stelle auf sein Kopfkissen sticken."



Portishead 'Third'

Ungläubig wie wohl alle hörte ich die ersten Gerüchte über ein neues Portishead-Album. Ich muss gestehen, das zweite Album mochte ich 'nur', dass erste war irgendwo im Dunstkreis meiner Jugenderinnerungen verschollen.
Dann kamen die ersten Rezensionen, mal verhalten, mal euphorisch. Die ersten Töne von 'Machine Gun' ließen mich panisch am Lautstärkeregler drehen, hatte ich doch aus Gewohnheit gleich mal ein wenig lauter gemacht.
Das erste Hören ließ mich ratlos zurück. Es war April und die Welt sah noch nicht so düster und Finanzkrisenbedroht aus wie heute. Das Album hatte eine Inkubationszeit von etwa 10 Durchläufen, dann begann es mich zu faszinieren. Einen Tag verbrachte ich allein damit 'The Rip' immer und immer wieder zu hören...Oh Miss Gibbons, nie ließ ihre Stimme die Welt fragiler und bedrohter erscheinen.
Jetzt, am Ende des Jahres scheint 'Third' wie eine wahr gewordene Vision der Apokalypse.



Elbow 'The Seldom Seen Kid'

Mercury-Prize


Muss man mehr sagen? Eigentlich nicht, aber diese großartige Band verdient jedes Wort, dass über ihr außergewöhnliches, großartiges Album geschrieben wird. Es ist nahezu alles perfekt auf dieser Platte. Die Texte könnten quasi direkt neben Rachel Unthank gestickt werden:

'There´s a hole in my neighbourhood / down which of late I cannot help but fall' (Grounds for Divorce)

'We took the town to town last night/ We kissed like we invented it' (Mirroball)

'I think when he's drinking he's drowning some riot/ What is my friend trying to hide?/ ... And it's breaking my heart to pull out the rain/ Brother of mine, don't run with those fuckers' (Some Riot)

Elbow haben ein so wunderbares Werk geschaffen, dass mir die Worte fehlen um auszudrücken, wie schön es ist, wie es mich berührt und bewegt hat. Nur so viel: es ist seit Mai auf meinem 1G iPod.

Wenn 'The Bairns' eine Offenbarung und 'Third' eine überwältigende Vision war, dann ist 'The Seldom Seen Kid' eine Seelenmesse, eine vertonte Tragödie Shakespearsen Ausmaßes.

23.12.2008

Mein Abschied

Ich bin sehr zufrieden mit mir. Die letzten Geschenke sind verpackt und es ist der 23.12. So früh war ich noch nie fertig. Ich entsinne mich noch an Jahre, in denen ich zwischen Kartoffelsalat und Käseplatte mit 5cm Absätzen die Treppen zu meinem Zimmer hinauf spurtete, nur um noch die letzten Bilder notdürftig in die Kalender für Verwandte zu kleben. Und wie der Sprint zurück in die Küche nicht selten nur knapp ohne Sturz gemeistert wurde.

Dieses Jahr ist anders. Nicht nur sind die Absätze höher (sagenhafte 8,5cm) und ein Sprint aufgrund der guten Vorbereitungen unwahrscheinlich. Dieses Jahr ist mein letztes Weihnachten.

(Schweigen)

So dramatisch wie es klingt ist es zwar nicht, aber doch werde ich heute in einem Jahr nicht mehr Kind sein. Ich werde meinen Uniabschluss und einen Job haben, ich werde meinen eigenen Lebensunterhalt verdienen und meine Eltern können eins ihrer Kinder von der Subventionsliste streichen.

Darum genieße ich mein letztes Kinder-Weihnachten. Ich habe mich sogar auf frühe Tugenden besonnen und das Budget für Geschenke fast auf Taschengeld-Maß beschränkt. Damit ging erwartungsgemäß viel Handarbeit einher. Unerwartet waren hingegen die körperlichen Tribute: Brandblase auf der Lippe, ein verbrannter Gaumen, Schürf- und Schnittwunden an den Händen, Prellungen auf dem Fußrücken, Muskelverhärtungen im Rücken (die wohl erst durch eine Thai-Massage vor Ort gelöst werden können) und ein Zuckerspiegel, der jeden Diabetiker dagegen kerngesund aussehen lässt. Was ich gemacht habe? Pralinen.



Bestimmt werde ich auch nächstes Jahr, zu meinem ersten Erwachsenen-Weihnachten, wieder Hohlkörper füllen und Schokolade temprieren. Nur mit dem Unterschied, dass ich dann nicht mehr so viel und ausführlich jammern werde. Die Kinder-Zeiten sind vorbei…

12.12.2008

Mein Last Christmas

Schon wieder muss ich vom Sport berichten. Und auch diesmal ist es nichts gutes und wiedermal ist Musik der Auslöser.
Prinzipiell mag ich Weihnachten. Ich mag auch Weihnachtsmusik und es gab schon Adventstage, an denen ich stundenlang durchs Winter Wonderland wanderte, dabei Rudolph, the red-nosed reindeer begegnete, andächtig in der Stillen Nacht weilte und Passanten zurief: Have yourself a merry little christmas. Der einsame Höhepunkt ist dann Bachs Weihnachtsoratorium.
Man kann mir also nicht unterstellen, dass ich Grinchianer bin.
Eigentlich startet meine Weihnachtsvorfreude mit dem ersten, leider mit den Jahren nicht besser werdenden, Last Christmas. Das wohl meistgehasste und unverwüstliche Perpetuum Mobile der Popmusik ist ein Klassiker. Muss es darum aber auch in das klassische Musikrepertoire einer Turnstunde aufgenommen werden?
Natürlich nicht. Und es müssen sich auch keine anderen Pop-Techno-Irgendwas-Mixe von Weihnachtsliedern erklingen, wenn ich meinen Kreislauf mit Step-touch und Leg-curl in Wallungen bringe. Ich habe ja den Verdacht, dass wir heimlich manipuliert, sprich konditioniert, werden sollen. Wie der berüchtigte Pawlow'sche Hund sollen wir zwar nicht automatisch sabbern, aber der Gedanke an die Schmerzen, ausgelöst durch die endlosen Wiederholungen, soll einen den Keks, den Glühwein oder die Gänsekeule sofort fallenlassen.
Ich möchte bitte nie wieder zu Weihnachtsmusik Sport machen müssen, denn ich liebe Gänsekeulen und Kekse (mein Verhältnis zu Glühwein ist eher angespannt).

Und eigentlich liebe ich auch Last Christmas, zumindest in so bezaubernden Varianten wie von Wolke oder so lakonisch cool wie von Werle & Stankowski, oder so 30er Jahre-like wie von Tomas Trulsson....oder...oder...oder. Es gibt erstaunlich viele gute Versionen.
Laut der Last Christmas-Sammelstelle sind es mittlerweile 381. Das reicht für 26 Stunden 21 Minuten und 09 Sekunden. Das hält kein Mensch durch? Sicherlich richtig, aber für alle, die einen Versuch wagen wollen hält die Seite 381 mehr oder weniger gelungene Varianten der Michael'schen Rentenversicherung zum Download bereit.
In diesem Sinne - frohe Weihnacht!

02.12.2008

Meine Diva

Da lag ich nun also auf einer, sagen wir mal vorsichtig, nach Anstrengung riechenden blauen Gummimatte und sollte mich nach 52min sportlicher Tätigkeit entspannen. Normalerweise wird dazu das Licht gedämmt und die Übungsleiterin überrascht uns Kursteilnehmer wahlweise mit Meeresrauschen, indianischer Trommelmusik, einem Best-of Sarah McLachlan-Medley oder Eigendichtungen.
Gestern gab es Kopfschmerzen stattdessen.

Das Licht blieb grell, die Luft wurde plötzlich kühl und schon als ich die ersten Takte Musik hörte ahnte ich böses. Diese Ahnung manifestierte sich: dreimal durfte ich für etwa 1 Sekunde das schwache-zitternde "nneessuunn" von Paul Potts hören. Wer ihn nicht kennt: Glück gehabt; für alle anderen: ja, das ist der Versuchstenor und Ex-Handyverkäufer aus der Werbung.
Nun bin ich zugegebenermaßen sehr schwierig was Musik angeht. Aber als im vierten Anlauf das ganze Elend in voller Länge und Lautstärke erklang, blieb mir nur die rettende, migränevermeidende Flucht zu Maria, meiner Diva, DER Diva assoluta.

Heute wäre sie 85 Jahre alt geworden. Welch ein Glück, dass die "größte Künstlerin der Welt" (Leonard Bernstein) in einer Zeit ohne singende möchtegern Klassik-Queens und eben jenem besagten Einzelhandelskaufmann aus England lebte.