25.02.2011

Mein Nekrolog



Blicke ich aus meinem Fenster sehe ich 17 Bäume. Größtenteils kahl. Einer trägt seitdem ich hier wohne eine Plastetüte in seinem Geäst. Sehr wahrscheinlich wurde sie einmal gebraucht, dann achtlos weggeworfen, vergessen. Jetzt arbeitet sich die Zeit und das Wetter an ihr ab. Mich wundert schon ein wenig, wie zäh sie ist, welchen Stürme sie, standhaft und den Ast fest umschlungen, schon stattgehalten hat.
Dieses Stück Plaste erinnert mich beim Blick aus dem Fenster an zwei Dinge: Zum einen freue ich mich auf den Frühling, denn dann verschwindet dieses trostlose Stück Zivilisationsmüll größtenteils im Blätterwerk.

Zum anderen unterliegt die Wertschätzung von Gegenständen einer immer kürzer werdenden Spanne. Das an einer Plastetüte festzumachen erscheint profan, ist aber gleichwohl symptomatisch: sie ist ubiquitär und simpel, erfüllt einen einfachen Zweck und ist dennoch multifunktional.

Dies soll keine Eloge auf organische Polymere werden.

Neben der halb zerfetzten Tüte fahre ich fast täglich an Fahrradleichen vorbei: an vor Monaten oder Jahren gebrauchten, nun scheinbar vergessen ubiquitären, simplen und einen einfachen Zweck erfüllenden Gegenständen. Einige sind mittlerweile genauso zerstört wie die Tüte, und klammern sich, ihr nicht unähnlich, mit verrosteten Schlössern an Laternenmasten, Geländern oder Gittern fest. Andere verschwinden mehr und mehr unter einer dicken Ruß-Staub-Schicht und unterscheiden sich fast nicht mehr vom trostlosen Grau des Asphalts.

Ich frage mich dann immer: Vermisst euch keiner? Warum wurdet ihr vergessen?
Ich vermisse mein Fahrrad nämlich ungemein.

Berliner Fahrradleichen I

Berliner Fahrradleichen II

Berliner Fahrradleichen III

Berliner Fahrradleichen IV

Berliner FahrradleichenV