19.11.2010

Meine Couch

Als ich meine Wohnung betrat, stieg mir sofort der Geruch von feuchtem Keller in die Nase. Vor drei Wochen war ich nur fünf Tage weg, hatte die Heizung auf dem Mond gelassen.
Hätte ich wohl besser die fünf Tage trotz Abwesenheit die Heizung auf Stufe drei drehen sollen, dem Klima schaden, aber meiner Wohnung und mir etwas Gutes tun sollen - denn: Hinter dem Bett war die Außenwand voller gelber Schimmelsporen. Dem nicht genug: Sie haben sich auf der Unterseite der Matratze ausgebreitet.
Die habe ich also sofort in den Keller gestellt, um sie auf den Sperrmüll zu werfen. Das ist drei Wochen her. Seitdem schlafe ich auf der Couch. Auf meinem Klippan, Zweiercouch, 1,60 Meter breit, die Lehne: zu hoch, um den Kopf darauf zu legen.
Als ich meine Matratze entsorgte, fühlte ich mich richtig wohl. Es war, als sei mir eine Last abgenommen, als hätte ich gebeichtet, als wäre ich endlich frei von etwas, das ich schon lange loswerden wollte.
Sicher, die Couch war nicht sehr bequem, der Körper dankte den Verlust des Betts nicht. Aber der Geist, das Herz.
Dennoch: Letzte Nacht war die letzte Nacht auf der Couch. Ich habe eine alte, na gut, sagen wir: eine sehr alte Matratze von einer Arbeitskollegin bekommen. Sie, die Matratze, ist etwa so weich wie ein Spüli-Schwamm. Ähnlich riecht sie auch.
Wird Zeit, dass ich mich wieder einmal von etwas befreie. Aber vorher kann ich ja eine Nacht drüber schlafen. Mit ausgestreckten Beinen.

13.09.2010

Meine Hoffnung

Ernüchterung nach 6 1/2 Monaten Vollzeitjob: die Anfangseuphorie ist einer bestenfalls routinierten Alltäglichkeit gewichen.
Hatte ich mir so meine Zukunft, meine Jahre der produktiven Tätigkeit vorgestellt? Mit Sicherheit nein. Um nicht in den bequemen Jammer einzufallen, der den deutschen Universitäten praxisferne Ausbildung vorwarf (den alten Studiengängen im Allgemeinen, den Geisteswissenschaften im Besonderen) verbuche ich meinen Einstieg in die vorgebliche Ernsthaftigkeit des Lebens als das, was es ist: eine Chance Erfahrungen zu sammeln. Über sich selbst, was man kann, was man vielleicht doch lieber nicht machen sollte...

Erschreckend finde ich an mir, wie schnell ich in den Chor der Unzufriedenen eingestimmt habe, wie groß kleine Ego- und Machtgeplänkel auf Arbeit plötzlich in Erzählungen werden.
Immer öfter sagt meine kluge, leider nicht immer sehr prägnante innere Stimme: 'Get some perspective, grrl!' - am Freitag hatte sie Erfolg.
Das lag nicht daran, dass die Tontechniker im Astra Kulturhaus einen schlechten Tag hatten. Der Grund ist ein Mark Oliver Everett, der im weißen Jumpsuit auf der Bühne stand. Eben jener Mensch, über dessen tragische Familiengeschichte schon so viel geschrieben wurde,dass er kurz vor der Stilisierung zum Ödipus der Neuzeit steht.

Bei meinem letzten Eels-Konzert, es muss 2006 oder '07 gewesen sein, entsprach das Ambiente, die Stimmung sowohl bei Besuchern als auch bei den beteiligten Musikern die Schwere, Introvertiertheit und Bedrückung der manchmal unendlichen Traurigkeit der Songs.
Mein Rendezvous mit den Eels im Jahr 2008 fiel sehr kurzfristig aus (Ödipus hatte auch bei mir einmal vorbei geschaut).

Und dann, im frühen Herbst 2010 stand dann diese Lichtgestalt das zauseligen Indierocks, der Macher von Songs voller skurriler, verschrobener aber (fast) immer liebenswerter Helden und Antihelden im ausverkauften Astra Kulturhaus und strahlte. Anfangs noch ruhig und die Verbindung zum Publikum suchend, wurde das Konzert, als der Funke übergesprungen war, mitreißend, ausgelassen und...optimistisch.
Mr. E verging fast vor Liebe zu seiner Band, machte wunderbar knarzige Ansagen und liebte sein Publikum, sein 'Schatzi'.
Nach fast zwei Stunden verließ ich mit einem lang vermissten Hochgefühl das saunaeske Astra mit einer Hoffnung: wenn dieser Mann, der in seinem Leben so viel Leid und Trauer erleben musste, so positiv, so lebensfroh und optimistisch sein kann, dann sollte es für mich doch ein Leichtes sein meiner alltäglichen kleinen Kapitulation dem Leben gegenüber die weiße Fahne zu entreißen.

07.09.2010

Meine Musik

Vor kurzem bekam ich via last.fm eine Nachricht. Der Text war nur zwei Zeilen lang, traf aber des Pudel’s berühmten Kern. Der Nutzer ian from barkbark schrieb mir: “thanks for the listen... your taste is great... :)
Das wusste der Music-Nerd in mir natürlich schon seit Jahren! Aber schön, dass es mir nicht bekannte oder nahestehende Personen endlich (!!!) erkennen. 
Will mich vielleicht noch jemand für meinen ‚great taste‘ bezahlen?

Ich mag Bark Bark Disco, einer Band aus Malta & Berlin. Sie machen ‚bedroom pop‘ und sind, ganz web 2.0 like, von der Idee überzeugt, dass Musikliebhaber ihre Leidenschaft frei teilen sollten. Ich teile nicht nur diese Auffassung sondern mit den guten Lesern der Berichte vom Tage auch gerne ihr Debüt-Album Your Mum Says Hello. Zum download geht’s hier.
(download: rechte Maustaste-> Ziel speichern unter)

03.08.2010

Mein Zwitscher-Tinitus

Es rauscht und rauscht, immer mehr und immer schneller zwitschert das blaue Twitter-Federvieh in die Welt hinaus. Ich twittere nicht, jedenfalls nicht privat.
Gut so, sage ich mir. Das zwar schon lange, aber erst recht nach der Meldung, dass am 1. August tweet Nr. 20.000.000.000 (zwanzig Milliarden) in die Welt gesetzt wurde. Geht man, rein hypothetisch, von einer durchschnittlichen Länge von 100 Zeichen aus macht das 2.000.000.000.000 (zwei Billionen) Zeichen die in 1593 Tagen in die Weiten des Netzes geschickt wurden.
Im Moment werden etwa 1140 tweets jede Sekunde produziert, das Allzeithoch wurde beim diesjährigen WM-Spiel Japan - Dänemark mit 3283 tweets in der Sekunde erreicht.
Da nicht generalisiert und vorverurteilt werden soll, insbesondere wenn einen das Objekt der Kritik nur randläufig interessiert und die Kenntnis sich in Grenzen hält, halte ich an dieser Stelle einmal völlig wertfrei fest:
von "just setting up my twttr" bis "GGGGGo_Lets_Go" wurden etwa 666.666.666 A4 Seiten gefüllt und die Welt ist immer noch nicht klüger aus sich selber geworden.

Trotzdem verweise ich gerne auf den einzigen Wortakrobaten, für den ich mein sonst zwitscherfreies Ohr öffne: wortloop

14.05.2010

Meine Oxytocin-Grenze

Wo biste denn abgeblieben und warum schreibste nichts mehr?
Die Fragen wurden mir in letzter Zeit öfter gestellt und ich muss gestehen, ich bin ein wenig beschämt so lange nichts von mir hören gelassen zu haben. Nur hat mich das Berufsleben eingefangen (was keine Entschuldigung, nur eine Erklärung sein soll) und trotz der vielen berichtenswerten Dinge, komme ich einfach nicht mehr dazu hier zu meckern, schimpfen, loben oder lieben.

In der letzten Woche wurde ich dann allerdings zweimal Zeuge von der gleichen unerhörten Begebenheit, so dass ich jetzt nicht mehr umhin komme hier davon zu berichten.

Vorweg noch eins: ich bin kein Misanthrop, der frühlingsfühlende Großstädter ob ihres Oxytocins-High beneidet.
Aber: Mann + Frau können sich auch mal zusammenreißen und ihren steten Drang zur körperlichen Nähe zu jeder Zeit und an jedem Ort kontrollieren. Küsst euch, fühlt euch, ergötzt euch aneinander, aber wenn die holde Zweisamkeit die eigenen vier Wände verlässt müsste es doch möglich sein, die Zuneigungsbekundungen so sozialkompatibel zu gestalten, dass sich Personen in unmittelbarer Umgebung nicht fragen, ob sie grade in einen zweistündigen Dreh eines How-to-make-out Lehrfilms geraten sind oder aber immer noch auf dem Konzert von Mark Lanegan!
Also Kinder, Zunge raus aus dem anderen und Augen geradeaus!

Gute Musik zum oxytocingesteuertem Handeln gibts heute auch noch mit dazu:
Tobias Hayes (ehemaliges Mitglied von 'Meet Me In St Louis') covert unter dem Pseudonym Shoes & Socks Off Nirvana, Eels, PJ Harvey, Radiohead, Pixies und Smashing Pumpkins.
Die EP 'Piepton' gibts hier zum download.

24.02.2010

Mein B(erlinale)Log IV

Anekdote Nr. 2:
Wie klein unsere globalisierte Welt ist erfuhr ich im Saal 9 des Cubix. Gerade hatte ich Putty Hill gesehen. Der Regisseur, Produzenten und weitere Mitarbeiter standen zur Q&A auf der Bühne, da meldete sich aus der letzten Reihe ein Zuschauer. Er sei gerade auf dem seltsamsten Trip seines Lebens gewesen.
Im Film wurde von der Beerdigung eines Jungen erzählt. Dieser war nur einmal auf einem Foto zu sehen. Eben dieser Junge sei ein guter Freund des Zuschauers, man kenne sich aus New York. Seltsamer wurde es noch, als der Regisseur meinte, dass der Fotodarsteller gar nichts von seinem 'Mitwirken' in dem Film wüßte, da man das Foto von einer Agentur habe, ihn aber partout nicht ausfindig machen konnte.
So trifft man sich in Berlin, Alexanderplatz, wieder.

23.02.2010

Mein B(erlinale)Log III

Ich beschließe, dass Tempo zu erhöhen, denn ich hatte einen klassischen Fehlstart hingelegt (erst an Tag 5 stieg ich ein, mit lächerlichen 2 Filmen). Jetzt heißt es Meter (analog: Filme) gutmachen und laufen laufen laufen. Und das ist diesmal keine Analogie, sondern ich lief: quer durch Berlin am Morgen um mir die Karten für den Tag zu besorgen. Vom Alex zum Potsdamer Platz, weiter zum Zoo du wieder zurück zum Alex, weil Film Nr. 1 anfing. Im Kino bis in den 4. Stock sprinten um einen guten Platz in der Schlange zu ergattern um mir dann einen strategisch guten Platz im Kino zu sichern. Schnell hatte ich zudem erkannt, dass ein Sololauf mehr Aussicht auf Erfolg brachte: keine Suchen nach zwei freien Plätzen, unauffälliges Voranschieben in der Schlange und am Ende ein schnelles Verlassen des Ort des Geschehens um mich laufenderweise zum nächsten Kino zu begeben.
Das zahlte sich aus, denn ich legte nach der (Massage)Pause einen guten Zwischenspurt hin und freute mich diebisch mit den in bester Screwballmanier agierenden Taiwanesen (Au Revoir Taipei), war danach ein wenig gelangweilt von der bemüht unbemühten De-Inszenierung der Trauer (Putty Hill) und verließ verstört, aber fasziniert von der Schönheit der Bilder und der Leichtigkeit der Umsetzung des schwierigen Themas (Bibliotheque Pascal) die Strecke nach der Halbzeit.

22.02.2010

Mein B(erlinale)Log II

Während ich von Film zu Film gehe, nein laufe, entstehen Anekdoten, die erzählt sein wollen:

Die ersten Filme des Tages lagen hinter mir, ich musste mich beeilen um vom Potsdamer Platz zum Zoo-Palast zu kommen um die von mir begehrten Tickets zu bekommen. Ich lief also los, die Jacke offen, die Haare wehten, die Beine flogen...ich lief durch Berlin, gegen die Zeit ... und vorbei an Tom Twyker

20.02.2010

Mein B(erlinale)Log I

Gestern las ich, dass die Berline wie ein Marathon ist: anstrengend und für untrainierte ungesund, aber trotzdem macht man mit. Ab Kilometer 30-35 wartet der Mann mit dem Hammer (analog: ab dem 10. Film in 4 Tagen) - da heißt es Augen zu und durch, warten auf das Runner’s High (analog: Picture Blow). Ich befinde mich gefühlt etwa bei Kilometer 30: nach einem eher schleppenden Spätstart (A Crowd of Three) lief es sich recht gut, auch wenn manchmal viel Geduld beim Überholen (anstehen für Karten) nötig war, um dann einen umso schöneren Blick auf die Strecke zu erhaschen (Black Bus). Ich schwebte dahin, die Beine (analog: Augen und Ohren) fühlten sich gut an. Zeit die Gedanken schweifen zu lassen und sich bewusst zu werden, wie gut es einem im Moment (und auch im Allgemeinen) geht (Shtikat Haarchion [An unfinished film]). Nachdem das erste Hochgefühl (Ja, ich renne endlich! - analog: ja, ich sehe endlich) verflogen war, erste Anzeichen der Erschöpfung (Orly), obwohl der Laufpartner auf diesem Teilabschnitt sehr charmant war und ausgezeichnete Hinweise für den weiteren Streckenverlauf hatte. Egal, weiter weiter, immer weiter. Erster Treppenspurt, vorbei an den Wartenden und schnell durchgehuscht zu einer Japanerin, die, weniger Asia-schrill als üblich und ganz Asia-untypisch den Männern vorweg lief (Kawa no soko kara konnichi wa [Sawako Decides]).
Zwischendurch die Fragen von an der Strecke stehenden Bekannten, wer mir bei meinem Marathon schon begegnet ist…
….aber erst mal biege ich ab in Richtung Massagezelt (analog: Augenpause).

18.01.2010

Meine Langsamkeit

Nein, verehrter Leser, mir ist nichts zugestoßen. Weder Daisy, noch die spiegelglatten Berliner Wege haben mir oder meiner Gesundheit geschadet. Lediglich die seit zwölf Tagen fehlende Sonne (Rekord schreiben die Zeitungen), schlägt so langsam auf das werte Gemüt nieder.
Aber das soll keine Rechtfertigung oder gar Entschuldigung für meine lange Abwesenheit sein. Vielmehr diagnostiziere ich eine neue Langsamkeit. Ich entschleunige die Zeit, verlangsame meine Tagesroutine und übe mich in gepflegtem Müßiggang.
Seit sich der marktschreierisch als ‚härteste Winter seit Jahrzehnten‘ titulierte normale Gang der Jahreszeiten über Berlin und Deutschland gelegt hat fühle ich mich nicht mal mehr schlecht in meinem neuen Tempo. Schließlich bescheinigte die Leiterin der Psychiatrie der Charité dem Schnee fast schon therapeutische Wirkungen: „Die Stadt wird […] heller, leiser, leerer und langsamer“. Aber mit steigenden Temperaturen und schmelzenden Schneebergen erwache auch ich aus meiner Winterlethargie. Zeit sich wieder den hässlichen Seiten des Alltags zuzuwenden, auch wenn der Blick aus meinem Fenster noch genügend Weiß für einen gnädigen Jahresanfangseintrag findet.
Und wenn sich der werte Leser nun fragt: wo ist der Jahresabschluss ‘09? Nur keine Sorge: er manifestiert sich schon in meinem Kopf. Aber solange der Schnee mich noch entschleunigt und meiner Seele gut tut belasse ich es bei formelhaften Phrasen, wünsche einen guten Start und ein gelungenes 2010.

Und neues Jahr neues Glück…dachte sich wohl auch Mr. E und beglückt uns morgen mit einem neuem Album. Eine wunderbare Kostprobe daraus findet ihr in dem titelgebenden Stück „End Times“ (leider nicht mehr als kostenloser Download verfügbar, aber viel zu schön um unerwähnt zu bleiben).
Aber ich bin eine Frau von Service und darum gibt’s natürlich auch was für die Datensammler: „Little Bird“ ist ebenfalls ein Stück vom neuen Eels-Album "End Times" auf Cooperative Music. Gegen eine e-mails Adresse bekommt ihr das gute Stück frei Haus geliefert.